Post-Doc-Projekt: Die Paradoxien der privilegierten Mobilität: Hoffnung und Warten bei türkischen Ärzt*innen im heutigen Deutschland
Ärzt*innen in der Türkei träumen davon, in Deutschland zu arbeiten. Heute haben viele frisch ausgebildete Ärzte und Ärztinnen, aber auch erfahrene Mediziner*innen die Türkei bereits verlassen und verlassen sie immer noch, um in Deutschland zu arbeiten - auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Familien. Abgesehen von Beschwerden über die politische Instabilität, das autoritäre System und die aufkeimende Finanzkrise mit rasant steigenden Lebenshaltungskosten zeigen meine Beobachtungen aus vorhergehender Feldforschung unter zugewanderten Ärzten in Deutschland weitere Gründe für die Migrationsentscheidung: Die häufigsten sind die physischen und verbalen Übergriffe gegen Ärzt*innen durch ihre Patient*innen und deren Angehörige oder Freund*innen; der physische und psychische Druck durch die hohe Arbeitsbelastung in überlasteten Krankenhäusern; das Schwinden des gesellschaftlichen Respekts für den Beruf; Mobbing und Schikanen durch Vorgesetzte am Arbeitsplatz und die fehlende Möglichkeit des sozialen Aufstiegs (Hage 2003). Viele empfinden ihr Leben geprägt von ständiger Unsicherheit, Unregelmäßigkeiten und Ungleichheiten, dem Mangel an Freiheit und dem eingeschränkten Zugang zu gesetzlichen Rechten.
Türkische Ärzt*innen gehören zu den Berufsgruppen, die durch das Blue-Card-Programm der EU privilegierten Zugang zu einem Visum haben. Dieses reguläre Migrationsprogramm erweckt den Glauben, dass Ärzte und Ärztinnen erwünschte Migrant*innen sind und Anspruch auf eine schnellere Erlangung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen haben. Das Programm verleitet auch zu der Annahme, dass sie in den Genuss erleichterter Visumantragsverfahren und vereinfachter Bedingungen für die Familienzusammenführung kommen. Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass dieses Programm seine Versprechen nicht immer und ohne Weiteres einhält. Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung sind die Paradoxien der privilegierten Mobilität türkischer Ärzte im heutigen Deutschland. Die Konzepte Hoffnung und Warten im Kontext der Migration werden verwendet, um diese Paradoxien zu untersuchen.
Meine vorläufige Feldforschung zeigt, dass es eine offensichtliche Diskrepanz zwischen den Vorstellungen türkischer Ärzte und Ärztinnen ihrer Migration nach Deutschlandund und den Erfahrungen mit der Art und Weise, wie diese vom deutschen Staat geregelt wird, gibt. Die Beziehung zwischen Hoffnung, Warten und Mobilität im Kontext regulärer Migration hat in der anthropologischen Literatur zu Migration und Mobilitäten weniger Beachtung gefunden. Dieses Forschungsprojekt zielt darauf ab, die paradoxen Erfahrungen türkischer Ärzt*innen mit Migrationshintergrund zu erforschen, die sich während des Visumsprozesses und nach der Ankunft in Deutschland entwickeln.
Um dieses Ziel zu verfolgen,
- möchte ich herausfinden, wie die Paradoxien der privilegierten Mobilität vor dem Hintergrund der Skurrilität und des komplexen Labyrinths der Migrationsbürokratie der deutschen Regierung entstehen.
- untersuche ich, wie verschiedene Akteure, die in privaten Beratungsunternehmen tätig sind, zugewanderte Ärzte im Umgang mit den paradoxen Hindernissen unterstützen.
- untersuche ich, wie türkische Ärzt*innen und ihre Familienangehörigen mit den sozialen, emotionalen und wirtschaftlichen Auswirkungen des ungewissen Wartens umgehen.
Finanziert durch die Fritz Thyssen Stiftung